Mitarbeitergespräche – wir müssen reden

Dass wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen. Karl Jaspers (1883-1969)

Bei Befragungen zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz gibt es regelmäßig einen Spitzenreiter in der Kategorie „Was mir den Spaß an der Arbeit raubt“: mangelnde Wahrnehmung durch Vorgesetzte. Je nach Studie beklagen sich bis zu drei Viertel der Arbeitnehmer darüber, dass sie selten oder sogar nie Anerkennung erhalten. Das ist sehr interessant, denn wenn Führungskräfte danach gefragt werden, ob sie ihre „Mannschaft“ loben, dann wird das ebenfalls von einer großen Mehrheit der Befragten ausdrücklich bejaht und als äußerst wichtiges Führungsinstrument bezeichnet. Wo liegt die Wirklichkeit? Aus der Beobachtung in Kfz-Betrieben in Schleswig-Holstein und aus den Seminaren im Rahmen des PiK-Projekts lässt sich schließen, dass einerseits mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so wenig gelobt wird, wie immer wieder behauptet wird, dass andererseits aber auch die meisten Führungskräfte in ihren Betrieben längst noch nicht eine Kultur des Lobes eingeführt haben – kein Wunder nach Jahrzehnten, in denen von Seiten der Führungsebene der Wunsch der Mitarbeiter nach Anerkennung mit Slogans abgebügelt wurde wie „Nicht kritisiert ist genug gelobt“ oder „Ich kann nun wirklich nicht jedes Ei beklatschen, das gelegt wird“.

 

Die große Differenz zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, was das Thema Lob angeht, lässt sich erklären durch die Art, wie gelobt wird. Wenn der Chef am Ende eines Arbeitstages den Kopf in die Werkstatt steckt und ein „Gute Arbeit, Jungs“ in die Halle ruft, dann mag das in seiner Wahrnehmung ein Lob gewesen sein, das doch allen gezeigt haben sollte, dass er mit ihrer Arbeit zufrieden ist. Das ist nur teilweise richtig. Keine Frage, ein aufmunternder Zuruf hat nichts grundsätzlich Verkehrtes, nur ist das nicht notwendigerweise das, was einem Mitarbeiter den konkreten Hinweis gibt, wahrgenommen worden zu sein. Ein echtes Lob wird nicht pauschal im Vorbeigehen gemacht. Es ist stattdessen persönlich und spezifisch, d. h. macht nicht nur deutlich, dass etwas gut gemacht wurde, sondern auch warum. Aus diesem Grund ist es für die Führungskraft erforderlich, sich mit dem einzelnen Mitarbeiter zu beschäftigen, gut zu beobachten und sich im Voraus zu überlegen, was genau zu loben ist.

Ein entscheidendes Mittel, um eine Kultur der Wahrnehmung des Einzelnen einzuführen, ist das Mitarbeitergespräch. In der Mehrzahl der schleswig-holsteinischen Betriebe der Kfz-Branche ist das ein Thema, das lange Zeit stiefmütterlich behandelt wurde. Zum Glück setzt sich die Erkenntnis langsam immer mehr durch, wie wichtig es für das Klima im Unternehmen ist, dass sich Mitarbeiter und Vorgesetzte(r) zu einem vorbereiteten, längerfristig terminierten Vieraugengespräch treffen. Es ist von großer Bedeutung, Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich auf das Gespräch vorzubereiten, innerlich, aber auch auf das, was sie/er ansprechen möchte. Die Führungskraft kann zur Vorbereitung das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun nutzen. Es ermöglicht dem „Vorgesetzten“, dem Gespräch eine Struktur zu geben und genau festzulegen, was auf der Sachebene behandelt werden soll und damit ein Thema festzulegen. Weiter hilft es, sich zu sensibilisieren für die Äußerungen des Gegenüber („Was verraten seine Worte? Was liegt gemäß der Eisbergmetapher unter der Wasseroberfläche? Was müsste ich noch wissen?“), indem auf der Selbstkundgabe-Ebene das Ohr weit geöffnet wird. Schließlich geht es um die Frage „Wie ist es um die Beziehungsebene bestellt?“ Daran schließen sich weitere an: „Wie sieht mich mein Mitarbeiter? Gibt es Belastungen, die die Zusammenarbeit immer wieder schwierig machen? In welchen Situationen geschieht das?“

Auch die Appellebene hat eine große Bedeutung, besonders dann, wenn von der Führungskraft eine Verhaltensänderung gewünscht wird. Oft mangelt es in diesem Punkt an klarer Kommunikation. MitarbeiterInnen gehen aus einem Gespräch und wissen nicht, was der eigentliche Sinn des Ganzen war. Es ist sehr hilfreich, den Appell schriftlich zu formulieren. Dadurch wird er nicht verloren gehen, etwas das besonders dann geschieht, wenn Emotionen ins Spiel kommen, und das geschieht, wenn es um die Änderung (Verbesserung) eines Verhaltens geht. Außerdem eröffnet das die Möglichkeit, eine Vereinbarung zu treffen, die in schriftlicher Form beiden Parteien vorliegt und auf die nach einer gewissen Zeit zum Zweck der Kontrolle wieder geschaut werden kann. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist Kontrolle für die Erreichung einer Verhaltensänderung unerlässlich. Das neue Verhaltensmuster muss ein Teil des schnellen Denkens, des Systems 1 werden, und das nimmt Zeit in Anspruch. Die natürliche Tendenz, immer wieder in Routinen zu verfallen, kann nur mittels des Systems 2, des langsamen, des bewussten Denkens überwunden werden. Es gibt nur wenige Menschen, die mittels Selbstkontrolle eine „Neuprogrammierung“ ihres S1 erreichen. Die Mehrheit der Menschen braucht jemanden, der sie immer wieder an das Ziel erinnert. Deshalb führt kein Weg an einem Coaching vorbei. Auch dafür ist ein schriftlich fixiertes Ziel sinnvoll, denn so kann der Coach denjenigen, der trainiert wird, effektiv anleiten.

Worauf gilt es beim Mitarbeitergespräch noch zu achten? Hier einige Erkenntnisse aus den Seminaren im Rahmen des PiK-Projekts. Während der PiK-Veranstaltungen zur Personalentwicklung kamen von Unternehmern häufiger Klagen über die mangelnde Motivation und Lernbereitschaft der Belegschaft, den schwachen Teamgeist und die zu hohe Fehlerquote der Mitarbeiter. Auch die hohe Abwesenheitsrate durch Krankheit bedeutet für einige Betriebe ein Ärgernis. Dann kam oft der resignierte Ausspruch: „Dabei unternehmen wir so viel für unsere Leute! Wie oft sind die zu Schulungen geschickt worden, damit sie nicht nur technisches Wissen, sondern auch alles andere lernen.“ Wenn von Seiten der Trainer die Frage aufgeworfen wurde „Was haben denn die Mitarbeiter gesagt, woran es ihrer Meinung nach liegt, dass die Situation so ist“, dann kam heraus, dass die Führungskräfte wohl die schlechte Stimmung insgesamt wahrnahmen, aber wo dem Einzelnen „der Schuh drückte“, das wusste die Führungsetage nicht genau zu sagen.

Es kann nur wiederholt werden: Durch ein persönliches, regelmäßiges und gut vorbereitetes Gespräch mit den Mitarbeitern erhalten diese genau das, was sie brauchen: Aufmerksamkeit, Anerkennung, Feedback und Ziele – die vier Bausteine für Erfolg. Nur so lassen sich die oben genannten Probleme in den Griff bekommen. Eine allgemeine Grundstimmung wahrzunehmen, ist ohne Frage wichtig, aber es ist noch entscheidender, die Situation jedes Einzelnen zu kennen. Kein anderes Instrument der Mitarbeiterführung ist so effektiv wie das Mitarbeitergespräch, diese vielleicht 30 Minuten, die das an Zeit kostet. Entstehende Probleme oder Zwistigkeiten werden so früh erkannt, können bei der Wurzel gepackt werden, ehe sie Schlimmeres verursachen. Entscheidend ist die Regelmäßigkeit. Ideal sind zwei Treffen im Jahr. Wenn das wegen der Unternehmensgröße nicht machbar ist, dann sollte es wenigstens einmal jährlich mit allen Mitarbeitern ein Gespräch geben. Diese Aufgabe sollte nicht delegiert werden. Mitarbeitergespräche sind Chefsache.

Nach einem Lob wird’s schlechter?
Ein häufig gebrachter Einwand, wenn in Seminaren zur Menschenführung das Thema „Lob“ angesprochen wird, lautet: „Wenn ich meine Leute lobe, dann kann ich sicher sein, dass hinterher die Leistung nachlässt.“ In seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ (S. 219) liefert Daniel Kahneman eine überzeugende Erklärung dafür. Während eines Projekts für das israelische Militär bestand Kahnemans Aufgabe darin, Fluglehrern das psychologische Rüstzeug für ihre Tätigkeit zu vermitteln. Kahneman betonte gegenüber seinen Schülern, wie viel effektiver es für die Bildung von Fähigkeiten sei, gute Leistungen zu loben, statt Fehler zu bestrafen. Am Ende seiner Ausführungen erhob sich ein erfahrener Fluglehrer und hielt eine Rede: „Bei vielen Gelegenheiten habe ich Flugkadetten für die saubere Ausführung von Flugmanövern gelobt. Wenn sie dann das gleiche Manöver wieder probieren, sind sie meistens schlechter. Andererseits habe ich oft in den Kopfhörer eines Kadetten gebrüllt, weil ich mit seiner Leistung nicht zufrieden war, und beim nächsten Versuch hat er es dann im Allgemeinen besser gemacht. Also erzählen Sie uns bitte nicht, dass Belohnungen immer den gewünschten Erfolg bringen und Bestrafungen nicht, denn das Gegenteil ist der Fall.“

Kahneman zeigt, dass der Ausbilder recht hatte, „aber zugleich hatte er vollkommen unrecht“. Die Erklärung für obiges Phänomen liefert die Statistik. Das, was der Ausbilder beobachtete, ist die sogenannte „Regression zum Mittelwert“ (Regression = Rückgang). Ein Lob erteilte er bei überdurchschnittlicher Leistung, einen Tadel gab es bei unterdurchschnittlicher. Wohin werden sich beide Leistungskurven über die Zeit hin zwangsläufig bewegen? Zur Mitte! Notwendigerweise wird eine überdurchschnittliche Leistung nicht automatisch wiederholt werden, das drückt schon das Adjektiv „überdurchschnittlich“ aus. Sie wird in der überwiegenden Zahl der Wiederholungen nachgelassen haben. Im umgekehrten Fall wird eine außergewöhnlich schlechte Leistung besser werden. Folglich hat die Verschlechterung nichts mit dem Lob, die Verbesserung nichts mit dem Tadel zu tun.

Wohlgemerkt: Kritik ist notwendig, sie sollte aber auf keinen Fall, wie in obigem Beispiel geschildert, durch Anbrüllen erfolgen – das mag beim Militär gehen, nicht aber in einem Kfz-Betrieb oder sonst einem „zivilen“ Unternehmen. Eine Kultur des Lobes wird dagegen für Mitarbeiter immer ein Zeichen der Wahrnehmung und Wertschätzung sein und damit etwas, das sich alle Menschen wünschen. Dadurch wird sich die allgemeine Stimmung im Unternehmen verbessern und mit ihr auch die Leistung – eine Entwicklung, für die ebenfalls die Statistik überzeugende Beweise liefert.

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