Analyse der Situation im Betrieb

Erst zweifeln, dann untersuchen, dann entdecken! Henry Thomas Buckle (1821-1862)

Wer Weiterbildung in seinem Betrieb voranbringen will, muss zunächst wissen, wie der aktuelle Stand ist: Welche Bereiche werden geschult? Welche Themen werden abgedeckt, welche vernachlässigt? Wie ist der Weiterbildungsbedarf? Wer ist für Weiterbildung zuständig? Wie nehmen die Mitarbeiter das Weiterbildungsangebot wahr? Entspricht die Form der Weiterbildung den Bedürfnissen und Anforderungen im Betrieb? Welche Faktoren hemmen die Weiterbildungsaktivitäten?

 

Bei den vertragsgebundenen Händlern ergibt sich ein Großteil des Weiterbildungsprogramms allein aus den Vorgaben der Hersteller. Hier sollte in einem ersten Schritt geprüft werden, ob damit alle erforderlichen Weiterbildungsinhalte abgedeckt werden, bzw. ob alle Mitarbeitergruppen davon profitieren. Da die Angebote der Hersteller sich häufig auf technische und verkaufsorientierte Bereiche konzentrieren, sollte im zweiten Schritt geklärt werden, ob Themen wie Mitarbeiterführung, Buchhaltung und Controlling ausreichend geschult werden. Bei Freien Servicebetrieben ist auch die Schulung technischer Inhalte an keinerlei Vorgaben von Herstellern oder Zulieferern gebunden. Daher stehen sie noch mehr in der Verantwortung, ein für den eigenen Betrieb passendes Weiterbildungsangebot in allen Bereichen zu ermöglichen und zu konzipieren.

Um ein umfassendes Bild von der Situation im eigenen Betrieb zu erhalten, muss nicht nur die Sichtweise der Geschäftsleitung, sondern auch die der Mitarbeiter und ggf. Mitarbeitervertretung abgebildet werden. Hier hat es sich bewährt, mit externer Hilfe eine Analyse zu erstellen. Grund dafür ist, dass Mitarbeiter ihre Rolle gegenüber ihren Vorgesetzten nicht verlassen können. Sie stehen in einem hierarchischen Verhältnis zu ihrer Führung und neigen deshalb dazu, im Gespräch mit Vorgesetzten oder auch in einer schriftlichen Befragung innerhalb des Betriebes ihre eigene Wahrnehmung und ihre Bedürfnisse nicht frei und zwanglos zu äußern. Kritik an den Abläufen im Betrieb oder an den Vorgesetzten wird zwar in vielen Betrieben gewünscht oder sogar eingefordert, kann aber in anderen Situationen auch gegen die Mitarbeiter verwendet werden.

Vor diesem Hintergrund haben externe Berater den Vorteil, neutral zu sein und einen geschützten Raum anbieten zu können, in dem Wahrnehmungen und Einschätzungen vertraulich behandelt werden. Bevor die externen Berater in den Betrieb kommen, sollten die Mitarbeiter darüber informiert werden, wer die Berater sind, warum sie kommen und worüber sie mit den Mitarbeitern sprechen werden. Der Anonymisierung von Ergebnissen der Befragungen und Gespräche fällt in diesem Zusammenhang eine hohe Bedeutung zu. Aussagen dürfen keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen zulassen. Die Vertraulichkeit der Angaben der Mitarbeiter wird damit gewahrt, und lediglich eine aus vielen Fragebögen bzw. Einzelgesprächen zusammengefasste Analyse wird an die Geschäftsleitung weitergereicht. Damit erhält diese ein verdichtetes Bild ihrer Mitarbeiter, das sie durch eigene Befragung nie erfahren könnte. Die Fragebögen sowie die Ergebnisse der Einzelgespräche verbleiben bei den externen Beratern.

Im ersten Schritt werden die Unternehmensleitung und/oder die Führungskräfte, die für den Bereich Weiterbildung/Personalentwicklung zuständig sind, sowie ggf. die Mitarbeitervertretung befragt (Betriebsdaten: z. B. Gesellschaftsform, Anzahl männlicher und weiblicher Mitarbeiter, Anzahl der Auszubildenden). Dafür empfiehlt sich ein leitfadengestütztes Interview.

Warum ist es überhaupt erforderlich, in einem zweiten Schritt die Mitarbeiter zu befragen? Warum reicht es nicht aus, die Fakten mit Hilfe der Geschäftsleitung zusammenzustellen? Es lässt sich zwar beispielsweise problemlos dokumentieren, wie viele Weiterbildungen zu welchen Themen in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurden. Gleichwohl fehlen bei einer solchen Betrachtung wichtige Informationen: Waren die Weiterbildungen sinnvoll und haben sie den Mitarbeitern bei der täglichen Arbeit geholfen? Ist die Atmosphäre im Betrieb dazu geeignet, die gelernten Inhalte umzusetzen? Haben die Mitarbeiter das Gefühl, dass die Weiterbildungen fair angeboten und zugeteilt werden? Fühlen sie sich individuell wahrgenommen? Trauen sich die Mitarbeiter, ihre Bedürfnisse zu äußern? Solche Informationen können nur über externe Befragungen der Mitarbeiter erhoben werden. Die Erfahrung zeigt, dass neben einer schriftlichen Befragung aller Mitarbeiter einzelne vertiefende Interviews notwendig sind. Im persönlichen Gespräch können die Interviewer nicht nur Einblick in „informelle“ Strukturen erhalten, sondern auch die Atmosphäre, die Wahrnehmung und Gefühlslage der einzelnen Mitarbeiter erfassen und Rückschlüsse auf die (Kommunikations-)Kultur im Betrieb ziehen.

Um ein möglichst repräsentatives Bild zu erhalten, ist es im dritten Schritt sinnvoll, mindestens fünf Personen in einem persönlichen Gespräch zu befragen. Diese Interviewpartner sollten alle Bereiche und Hierarchiestufen im Betrieb abbilden. In kleineren Betrieben ist es empfehlenswert, alle Mitarbeiter persönlich zu befragen, in größeren Betrieben mindestens 10% der Belegschaft.
Die Interviewleitfäden für die Gespräche mit der Geschäftsleitung und den Führungskräften, der Fragebogen für alle Mitarbeiter sowie der Interviewleitfaden für die einzelnen Mitarbeiter sollten dabei aufeinander abgestimmt sein.

Aus den persönlichen Gesprächen können Informationen gewonnen werden, die das Bild der schriftlichen Befragung ergänzen. Fragen der Atmosphäre, Informationen über Ablaufprobleme im Betrieb (zwischen Abteilungen, zwischen Kunden und Betrieb), Einschätzungen zum Stellenwert der Weiterbildung bei Geschäftsleitung und Belegschaft können in solchen Gesprächen angesprochen werden. Die Kommunikationsstrukturen im Betrieb werden transparent: Gibt es Mitarbeiter- oder Zielvereinbarungsgespräche, die nicht anlassbezogen sind? Welche Mitarbeiter werden wie informiert? Gibt es regelmäßige Betriebsversammlungen, auch ohne konkreten Anlass? Welche Kommunikationsmittel werden verwendet (E-Mail, Schwarzes Brett, Aushänge)? Diese Informationen sind sehr wertvoll und helfen, die Ergebnisse der schriftlichen Mitarbeiterbefragungen sowie der Befragung der Geschäftsleitung und ggf. der Mitarbeitervertretung einzuordnen.

Aufgrund der unterschiedlichen persönlichen Wahrnehmung der Befragten können sich auf den ersten Blick kuriose Differenzen bei der Beantwortung derselben Frage ergeben. Ein Beispiel: Bei der Frage nach Mitarbeitergesprächen im Betrieb können die Antworten von „gibt es bei uns gar nicht“ bis „finden monatlich mit allen Mitarbeitern statt“ variieren. Auch bei der Einschätzung, ob die Möglichkeit zur Teilnahme an Weiterbildung im Betrieb allen gleichmäßig zur Verfügung steht, gehen die individuellen Beurteilungen in der Praxis weit auseinander. Solche Differenzen in der Bewertung sollten nicht als negative Kritik aufgenommen bzw. als unwahr abgetan, sondern als Chance verstanden werden. Sie spiegeln – unabhängig von der Daten- und Faktenlage – die Wahrnehmung der Mitarbeiter wider und sind daher in der Regel ein Indiz dafür, dass es Kommunikationsprobleme zwischen Geschäftsführung und zumindest Teilen der Belegschaft gibt.
Probleme im Kundenkontakt können – trotz guter technischer Weiterbildung – auf Mängel in der sozialen Kompetenz hinweisen. Ebenso können sie ein Anzeichen für Führungsdefizite oder organisatorische Schwächen darstellen. Aufgabe der externen Berater ist es nun, die Ergebnisse der schriftlichen und mündlichen Befragungen auszuwerten und für die Geschäftsleitung aufzubereiten.

Sie haben dabei immer im Blick, die Erkenntnisse so darzustellen, dass Mängel oder Defizite mit Lösungsvorschlägen flankiert werden. Im Mittelpunkt steht, die Geschäftsleitung und Führungskräfte darin zu bestärken, Bewährtes weiterzuführen und etwaige Schwachpunkte anzugehen. Wenn die Geschäftsleitung die Ergebnisse kennt und zu der Entscheidung gekommen ist, welche Maßnahmen sie ergreifen will, sollten die Mitarbeiter informiert werden. Eine geeignete Form ist eine Betriebsversammlung, auf der die Analyseergebnisse vorgestellt und erläutert werden.
Wie kann der Betrieb die Erkenntnisse aus der Analyse nutzen? Welche Möglichkeiten zur Verbesserung gibt es? Grundsätzlich gibt es drei Formen, um die passgenaue Weiterbildung im Betrieb zu verbessern:

Strukturelle Veränderungen im Betrieb
Seminarangebote
Coaching

Strukturelle Veränderungen im Betrieb
Gerade kleinen Betrieben mangelt es häufig an einem regelmäßigen Kommunikationsfluss, an dem alle teilhaben. Häufig findet der Austausch von Informationen über den „Flurfunk“ statt. Das hat zur Folge, dass in der Wahrnehmung der Mitarbeiter nicht alle Kollegen gleichermaßen einbezogen werden und manche Mitarbeiter wichtige Informationen gar nicht oder nur zufällig erfahren – manchmal sogar erst vom Kunden. Betriebsversammlungen, die lediglich anlassbezogen durchgeführt werden, werden meist zu unerfreulichen Anlässen einberufen und bekommen so in der Wahrnehmung der Mitarbeiter einen negativen Anstrich. Regelmäßige Betriebsversammlungen hingegen fördern eine positive Kommunikationskultur und signalisieren von Seiten der Geschäftsleitung ein Interesse am Austausch mit der Belegschaft. Die Mitarbeiter sind bei solchen Versammlungen nicht nur Informationsempfänger, sondern können sich auch äußern.

Mitarbeitergespräche werden ebenfalls häufig nur anlassbezogen und nicht mit allen Mitarbeitern geführt. Viele Geschäftsführer kleiner Betriebe sind der Auffassung, dass der tägliche Kontakt mit den Mitarbeitern ein regelmäßiges Mitarbeitergespräch ersetzt. Ein regelmäßiges Jahresmitarbeitergespräch bietet aber darüber hinaus einen geschützten Raum für die Reflexion der persönlichen Entwicklung und für die Wertschätzung der Leistung des einzelnen Mitarbeiters. Dies kommt im täglichen Kontakt in der Regel zu kurz („nicht geschimpft ist schon Lob genug“). Ein weiterer Vorteil eines regelmäßigen und angekündigten Mitarbeitergespräches ist es, dass beide Seiten – also auch der Mitarbeiter – sich im Vorfeld über die Entwicklung und Weiterbildung Gedanken machen können. So kann verhindert werden, was in vielen Betrieben noch allzu oft passiert: dass im Stress des Alltages das Thema Weiterbildung immer wieder vernachlässigt oder verschoben wird. Mitarbeitergespräche sollten daher ein fester Bestandteil der Personalentwicklung in Betrieben sein, unabhängig von der Größe des Betriebes. Sie sollten auf der Unternehmensseite von einer Führungskraft geführt werden, die den Arbeitsalltag des Mitarbeiters kennt und beurteilen kann.

Seminarangebote
Der Bedarf an technischen Schulungen ist meist einfach zu erheben. Schwieriger wird es bei sozialen und kommunikativen Themen: Hier muss der externe Berater die erforderliche Qualifikation haben, die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten bzw. Weiterbildungsbedarfe als außenstehender Beobachter erkennen und benennen sowie entsprechende Handlungsvorschläge ableiten zu können. Bei diesen Themenfeldern entspricht die Fremdwahrnehmung des Beraters häufig nicht der Eigenwahrnehmung der Beschäftigten bzw. der Führungskräfte. Es bedarf eines gewissen diplomatischen Geschicks, hier Mängel aufzuzeigen, ohne destruktiv zu sein oder Frustration zu erzeugen. Der Unternehmer steht vor der Herausforderung, Kritik an sich, seinem Führungsstil, seinen Beschäftigten, seiner Unternehmenskultur zuzulassen und gleichzeitig einen konstruktiven Weg zu erarbeiten und zu beschreiten. Dabei ist es denkbar, dass der externe Berater weiterhin begleitend mit eingebunden wird. Darüber hinaus können Schulungen in Bereichen wie Kfz-Englisch, EDV, Stress- und Zeitmanagement sinnvoll sein, da diese Inhalte in den Kfz-Betrieben in der Regel eher zweitrangig behandelt werden.

Coaching
Vieles, was an Weiterbildungsbedarf im sozialen und kommunikativen Bereich ermittelt wird, kann durch ein Coaching vor Ort erfolgreicher geschult werden als in externen Seminaren. In der Serviceannahme ist es beispielsweise kaum möglich, im Seminarbetrieb eine adäquate Situation nachzustellen, wie sie im alltäglichen Betriebsablauf vorkommt. Ein Coach vor Ort hat hingegen die Möglichkeit, echte Situationen mitzuerleben und anschließend mit den Mitarbeitern zu bearbeiten. Coaching kann oft auch sinnvoll als ergänzendes Instrument zu Seminaren eingesetzt werden. Vor Ort kann das im Seminar Erlernte angewendet und vertiefend eingeübt werden. So können alte Routinen besser abgelegt und neue erlernt werden.

Eine Analyse des Weiterbildungsbedarfes, wie sie hier vorgeschlagen wird, erfordert zwar Aufwand, ist aber die einzige Möglichkeit, um ein Maßnahmenpaket zu entwickeln, das exakt auf die Bedürfnisse des Betriebes abgestimmt ist. Jeder Betrieb ist anders – entsprechend maßgeschneidert muss das Angebot ausfallen. Das Potenzial eines Betriebes liegt in seinen Mitarbeitern und lässt sich nicht ausschließlich über Zahlen und Daten erfassen. Externe Berater sollten daher nicht nur die Branche kennen, sondern auch qualifiziert sein, die Menschen mit ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen zu sehen und in den Vordergrund zu stellen.
Eine fundierte Analyse ist der erste notwendige Schritt hin zu einer Weiterbildungskultur und -praxis, die allen Beteiligten dient: Der Betrieb hat gut qualifizierte Mitarbeiter und kann im Wettbewerb bestehen, die Mitarbeiter sind den Herausforderungen gewachsen und haben sichere Arbeitsplätze. So banal es klingt, so wahr ist es: Investitionen in Weiterbildung sind Investitionen in die Zukunft.

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