Strategien der Hersteller im Zwielicht

Nicht auf Augenhöhe

„Wir brauchen einen unabhängigen Dienstleister, der die von uns gewonnenen Fahrzeugdaten verwaltet. Ich möchte nicht, dass unsere Daten an einen Hersteller gehen.“

Stefan Vorbeck

Es ist immer noch ein gängiges Geschäftsmodell im Kfz-Gewerbe, sich mittels Vertrag an einen oder mehrere Hersteller zu binden. Allerdings sind die Beziehungen zwischen beiden Parteien angespannt – eine unaufhaltsame Entwicklung?

Positivstes Szenario

Es beschreibt das Verhältnis eines loyalen Händlers zu einem mächtigen, aber kalkulierbaren Hersteller. Letzterer stellt die mit Prestige, einem positiven Image aufgeladene Marke, liefert ein technisch hochwertiges Produkt und ist in der Lage, die von einer Kundin, einem Kunden, bzw. von ihrem oder seinem Auto generierten Daten zu sammeln, auszuwerten und konstruktiv zu nutzen sowie die notwendigen Ersatzteile zu liefern. Das gibt ihm das Recht, den Vertriebsweg zu gestalten und sich dabei des stationären Handels zu bedienen. Die juristischen Rahmenbedingungen dieser Geschäftsbeziehung werden maßgeblich auf europäischer Ebene festgelegt.

Daraus entsteht keine gleichberechtigte Partnerschaft (nicht auf Augenhöhe), sondern ein Verhältnis, das man im Endeffekt beschreiben könnte als das zwischen einem Fußballtrainer und seiner Mannschaft. Der Coach entscheidet über die Taktik und mit welchen Spielern er antreten will. Er kann jederzeit einen Spieler vom Feld holen und ihn gegen einen anderen austauschen, ohne dass er sich dem Spieler gegenüber rechtfertigen müsste.

Übertragen auf den Handel werden von Händlern eine hohe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität an die (ständig) wechselnden Strategien des Herstellers erwartet. Wenn der Hersteller klug ist, wird er die wertvollen Informationen nutzen, die der Vertragshandel in seinem täglichen Kontakt mit dem Kunden gewinnt.

Aus dieser Sachlage ergibt sich die Grundfrage: Will ein Händler unter diesen Bedingungen ein Vertragsverhältnis eingehen, bzw. bestehen lassen? Die Antwort ist, das zeigen die Fakten des deutschen Kfz-Gewerbes, ein generelles Ja! In dem Moment allerdings, wo das Verhältnis zwischen Hersteller und Handel auf Dauer die betriebswirtschaftliche Basis erodieren lässt, muss der Händler die Reißleine ziehen, aus dem Händlervertrag aussteigen und mit neuen Strategien sein betriebswirtschaftliches Überleben sichern.

Negativstes Szenario

Der Kunde sieht das Vorhandensein des stationären Handels nicht als Vorteil. Daraus ergibt sich, dass der Hersteller bemüht ist, durch Digitalisierung der gesamten Wertschätzungskette den Handel vor Ort auszuschalten und damit seine eigene Marge pro Fahrzeug deutlich zu erhöhen (Bsp. Tesla). Der mittelständische Unternehmer vor Ort wird nur noch dann in die Wertschöpfung integriert, wenn eine Vertriebs- oder Dienstleistung nicht auf digitalem Weg erbracht werden kann. Damit wird der Händler zu einem „digitalen Hilfsarbeiter“. In diesem Szenario wird der Unternehmer für seine Leistung vermutlich schlechter honoriert als in dem bisherigen Konzept als eigenverantwortlicher Vertragshändler. Ähnliche Szenarien sind schon heute bei Tankstellen zu beobachten und bei Firmen, die für Großunternehmen wie Media Markt Serviceleistungen erbringen.

Ob dieses Szenario durchsetzbar ist, hängt davon ab, ob den Herstellern weiterhin das finanzielle Risiko der Übernahme des gesamten Vertriebsweges zu hoch ist. Die Inzahlungnahme der Gebrauchtwagen, die lange Zeit als wichtiger Hinderungsgrund für die Übernahme des gesamten Vertriebsweges angeführt wurde, hat sich allerdings durch internetbasierte Händler zu einem für die Hersteller grundsätzlich lösbaren Problem entwickelt.

Der internationale Hersteller hält sich an gesetzliche Vorgaben (europäisches oder nationales Recht, z.B. Nutzung von Kundendaten, freier Zugang zu Fahrzeugdaten, Handelsvertreterausgleich, Kündigungsfristen) nur dann, wenn er ansonsten mit erheblichen finanziellen Nachteilen rechnen müsste. Im Zweifel gilt für ihn das Recht des Stärkeren. Er empfindet keinerlei Fürsorgepflicht für die nachgeordnete Handels- oder Servicestruktur.

Wenn der Vertragshandel in Deutschland den Respekt seitens der Hersteller einfordern will, dann kann er dies nur, indem eine Nichteinhaltung von Gesetzen durch den Hersteller mittels kostenintensiver juristischer Maßnahmen geahndet wird.

Dafür sind drei Bedingungen zu erfüllen:
1. Das finanzielle Risiko wird durch das Händler-Kollektiv getragen (Fabrikatsverband oder ZDK).
2. International agierende Anwaltskanzleien bauen aufgrund ihrer Struktur und Bedeutung ein relevantes Drohpotential auf.
3. Je nach Situation wird der Schulterschluss mit anderen Organisationen (Überwacher, Verbraucherschützer, Umweltschutz, Gewerkschaften, ADAC) gesucht.

Dadurch wird es möglich, ein vergleichsweise unbelastetes Verhältnis zwischen Händler und Hersteller bei gleichzeitiger Einhaltung der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

„Natürlich müssen wir in unserer Branche den Übergang von analog zu digital schaffen. Gleichzeitig dürfen wir uns in der Fülle der Möglichkeiten nicht verlieren und unsere große Stärke dabei aus den Augen verlieren: die Nähe zum Kunden.“

Tim Schneider

disruptiv

Von englisch „to disrupt“ („unterbrechen“) die Entwicklung und Einführung neuer Technologien, die bisher bestehende Formen (wirtschaftlichen) Handelns unterbricht und in einigen Fällen zum völligen Verschwinden des Althergebrachten führt.