Stressmanagement

Stress ist die größte Gesundheitsgefahr des
21. Jahrhunderts. WHO

Der Arzt Hans Selye (1907 – 1982) lieferte die erste medizinische Definition, als er Stress bezeichnete als „die unspezifische Reaktion des Körpers auf die Notwendigkeit zur Anpassung“. An einem Beispiel zeigt sich, was das meint. Bei steigender Temperatur fängt der Mensch an zu schwitzen. Hitze ist der Stressor, der die Notwendigkeit zur Anpassung einleitet. Unspezifisch ist die Reaktion insofern, als der Moment, in dem diese Reaktion ausgelöst wird, und die Stärke des Schwitzens individuell unterschiedlich sind. Einige Menschen fangen bei 20 Grad an zu schwitzen, während bei anderen die Wohlfühltemperatur an der 30-Grad-Marke beginnt.

 

Geht es bei obigem Beispiel um physiologische Prozesse, so ist der Stress, von dem in diesem Kapitel die Rede sein soll, natürlich ein psychisches Phänomen. Gerade da wird deutlich, wie unspezifisch die Reaktion auf einen Stressor ist. Ein weiteres Beispiel soll dies unterstreichen. Menschen, die vor anderen sprechen müssen, empfinden diese Aufgabe sehr unterschiedlich. Für einige ist so eine Situation der blanke Horror. Sie haben schweißnasse Hände, einen trockenen Mund, bekommen in manchen Fällen keinen Ton heraus, sie leiden unter plötzlichen Sehstörungen, der Magen krampft sich zusammen, einige müssen sich übergeben oder leiden in den Stunden vor der Rede an Verdauungsproblemen. Individuell verschiedene Reaktionen also. Andere dagegen haben vor einer Rede überhaupt kein Lampenfieber. Sie genießen es geradezu, vor großem Publikum aufzutreten.

Aus dieser Tatsache lässt sich für das Thema Stress ein wichtiger Leitsatz formulieren: Stress ist eine Frage der persönlichen Einschätzung. Den Stress an sich gibt es also nicht. Es gibt eine Situation, die als überfordernd eingeschätzt wird. Das führt bei diesen Personen zur Ausschüttung von Hormonen, und die wiederum leiten physische Prozesse ein, wie sie oben beschrieben wurden. Um diesen Leitsatz noch deutlicher herauszuarbeiten, sollen drei weitere Beispiele genannt werden.

In einem Experiment wurden Affen in Käfige gesperrt und unter Nahrungsentzug gesetzt. Nach einer gewissen Zeit erhielt eine Affengruppe Kekse, die jedoch ohne jeden Nährwert waren. Die anderen Affen bekamen nichts. Wie sich leicht schlussfolgern lässt, waren die zum Zuschauen verurteilten Affen in hohem Maße gestresst (in ihrem Urin wurde eine hohe Konzentration von Abbauprodukten von Stresshormonen festgestellt). Der Stress beruhte also nicht auf der Tatsache, dass sie Hunger hatten, sondern bestand darin, dass sie anderen beim Fressen zusehen mussten und diese Situation bewerteten. Die mit den Keksen Gefütterten waren, was die Kalorienzufuhr betrifft, in einer absolut identischen Situation, nahmen dies aber nicht wahr und hatten aus diesem Grund auch keinen Stress.

Beispiel 2 lässt sich leicht am eigenen Leib erfahren. Wer nicht unter extremer Höhenangst leidet, dem wird es nicht schwerfallen auf einen Stuhl zu steigen. Nun befindet sich unter der Sitzfläche ein Mechanismus, mit dem der Stuhl auf 20 Meter Höhe gefahren wird. Dies geschieht ohne jedes Ruckeln und oben weht nicht das geringste Lüftchen. Auch wenn sich an der eigentlichen Situation nichts geändert hat, wird die Mehrheit der Menschen mit der Ausschüttung von Stresshormonen auf das Hochfahren reagieren. Die reine Vorstellung, was alles passieren könnte, bewirkt dies.

Noch ein letztes Beispiel, um den Schlüsselsatz, nach dem Stress eine Folge von Bewertung ist, zu bestätigen. Jeder Mensch schluckt bis zu drei Liter Speichel jeden Tag. Wer nun aber zur Abwechslung in ein sauberes Glas spuckt, und wenn es dann voll ist, den Inhalt trinken müsste, wird mit Ekelgefühlen zu kämpfen haben. Ekel ist ein starker Stressor. Das, was den ganzen Tag unbewusst geschieht und keinerlei Gefühle weckt, setzt unter kaum veränderten Vorzeichen Menschen unter Stress. Speichel, der den Mund verlassen hat, wird als eklig bewertet, was die Notwendigkeit zur Anpassung auslöst.

Auch wenn es den Begriff „Stress“ erst seit rund 80 Jahren gibt, Stress haben Menschen natürlich zu allen Zeiten ihrer Geschichte gehabt. Bei den Arbeitssklaven, die beim Bau der Pyramiden tagtäglich an den Rand ihrer physischen Leistungsfähigkeit gezwungen wurden, hätten sich im Urin mit Sicherheit ebenfalls Abbauprodukte von Stresshormonen nachweisen lassen. Leibeigene, die im Schleswig-Holstein des 17. Jahrhunderts ihrem Feudalherren Dienst leisten und gleichzeitig ihr kleines Stück Land bewirtschaften mussten, um ihre vielköpfige Familie durchzubringen, arbeiteten mit Sicherheit physisch sehr viel härter als die meisten Arbeitnehmer heute. Sie werden unter diesen Umständen möglicherweise keinerlei Stresshormone aktiviert haben.Sehr wohl aber in dem Moment, in dem ihre Frau krank wurde oder sie selbst. Das wiederum konnte katastrophale Folgen haben, bis hin zum Verlust des Wohnhauses (das ihnen ihr Brotherr zur Verfügung stellte, so lange, wie sie für ihn arbeiteten) und damit dem Leben als Bettler auf der Straße. Diese Situation wurde von ihnen ohne Zweifel (und sehr leicht nachvollziehbar) als zu schwierig bewertet, um sie zu bewältigen – Stress war die Folge.

Bewertung der Situation bedeutet auch die Einschätzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Das können die geistigen und physischen Kräfte sein, die jemand hat, oder von denen er zumindest meint, dass sie ihm zur Verfügung stehen. Wer als Teil einer Zirkustruppe als besonderes Kunststück die Nummer mit dem auf 20 Meter hoch gefahrenen Stuhl trainiert hat, der wird, wenn er das schon viele Male erfolgreich gemacht hat (inklusive Balancieren auf der Lehne), die Situation als beherrschbar einordnen und nicht übermäßig gestresst sein. Übermäßig, denn ein gewisses Maß an Anspannung, an Stress ist erforderlich, um Leistung überhaupt bringen zu können. Die aus dem Jahr 1908 stammende Yerkes-Dodson-Kurve macht dies deutlich.

Sie zeigt, dass bei geringer Aktivierung, man könnte auch sagen bei geringer Herausforderung, die Leistung auch niedrig ist. Die Leistung steigt allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, dann fällt die Kurve ab. Immer stärkere Aktivierung aller Ressourcen bringt nicht immer mehr Leistung. Während bei Unterforderung Boreout droht, ist es bei permanenter Überforderung das Ausbrennen (Burnout), das schwere Krankheiten mit sich führen kann bis hin zum Tod, z. B. durch stressbedingte Herzschädigung.

Für die Führungsebene eines Unternehmens ergibt sich daraus die Verantwortung, auf die individuelle Leistungsfähigkeit einer Mitarbeiterin/eines Mitarbeiters zu schauen und darauf zu achten, dass keine dauerhafte Überforderung stattfindet. In den Seminaren zur Mitarbeiterführung im PiK-Projekt gab es beim Thema Überforderung häufig den Einwand, dass die MitarbeiterInnen nicht wirklich überfordert sein könnten, da faktisch keineswegs zu viel von ihnen verlangt würde. Das kann durchaus so sein. Da die Frage, ob jemand gestresst ist, aber eine der persönlichen Einschätzung ist, hilft dieses Argument nicht weiter. Abgesehen von der Verantwortung der Führungskraft, die für die Erledigung der Arbeit günstigsten Rahmenbedingungen zu schaffen, geht es auch darum, dem Einzelnen zu helfen, mit dem empfundenen Stress besser fertig zu werden. Diese Hilfestellung kann durch die Möglichkeit einer Selbstanalyse geschehen.

Sich nicht zum wehrlosen Opfer der Umstände machen
Wenn es um die Ursachen für einen erhöhten Stress-Level geht, dann teilen Forscher die Ursachen in zwei große Kategorien ein: die lebensgeschichtlichen Stressoren und die „daily hassles“, die täglichen Ärgernisse. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um die bedeutenden Ereignisse im Leben eines Menschen (siehe Liste Seiten 139/140). Den ersten Platz im Ranking der Geschehnisse, die einen erhöhten Stress-Level verursachen, steht der Tod eines Ehepartners oder des eigenen Kindes. Es folgen Scheidung, Trennung, Gefängnisstrafe sowie Tod eines Familienmitglieds. Die Zuordnung von Punkten geschah, um Werte festzulegen, ab denen von einem sehr hohen Stress-Level gesprochen werden kann. Dies erscheint angesichts der Tatsache, dass Stress eine Frage der persönlichen Einschätzung ist, wenig sinnvoll.

Auch gilt es zu bedenken, dass die aufgeführten Ereignisse in ihren Wirkungen nicht nur unterschiedlich stark sind, sondern dass die Effekte von Individuum zu Individuum auch unterschiedlich lange anhalten. Dennoch kann die Liste einer Führungskraft Anhaltspunkte dafür geben, dass bei einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter ein erhöhter Stress-Pegel vorhanden ist.

Die zweite Gruppe besteht aus den täglichen Ärgernissen, aus dem, was häufig wiederkehrt und jedes Mal eine Stress-Reaktion provoziert. Die auf den Seiten 141 bis 143 aufgeführten Aussagen stammen von MitarbeiterInnen aus schleswig-holsteinischen Kfz-Betrieben. Sie sind Antworten auf die Frage, was ihnen die Freude an der Arbeit raubt. Wenn es um die Reduzierung des Stresses geht, dann ist hier der Ansatz gegeben. Während sich die großen lebensgeschichtlichen Ereignisse vielfach ohne eigenes Zutun einstellen, sind die täglichen Ärgernisse in der Mehrzahl veränderbar. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die es für sich selbst zu nutzen gilt, die aber auch an Mitarbeiter, die über zu großen Stress klagen, weitergegeben werden sollte.

Beim Thema Stress muss sich niemand als das wehrlose Opfer der Umstände sehen. Schließlich gibt es sowohl bei den lebensgeschichtlichen Stressoren als auch bei täglichen Ärgernissen zwei Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Stress-Verursachern: Sind sie veränderbar, sollten sie verändert werden, sind sie es nicht, dann gilt es, seine Einstellung zu überprüfen. Keine Frage erfordert beides Zeit und Kraft, denn es bedeutet eine Veränderung von Verhaltensmustern, eine Veränderung des schnellen Denkens (S1).

An einigen Beispielen lässt sich verdeutlichen, wie eine solche Änderung aussehen kann. Für viele Mitarbeiter in den Kfz-Betrieben beginnt der Stress schon auf dem Weg zur Arbeit. Als erster Punkt auf der Liste der täglichen Ärgernisse ist deshalb der Satz aufgeführt: „Die Fahrt zur Arbeit nervt (ständige Staus, blinde Autofahrer).“ Der Straßenverkehr bietet viele Gelegenheiten sich aufzuregen. Einmal bewusst darüber nachzudenken, wie die eigene Reaktion auf das Verhalten anderer ist und ob das irgendetwas zum Guten ändern wird, kann ein erster Schritt sein, sich nicht mehr (oder zumindest weniger) über die Fehler anderer zu erregen. Damit wird der Stress-Pegel sinken.

Das klingt ohne Zweifel einfach, aber genauso klar ist, dass der Reflex auf Fehler anderer (Schreien, Gestikulieren, aggressives Drauffahren) nicht leicht durch den Reflex des Ruhigbleibens ersetzt werden kann. Es muss dafür das S 2, das langsame Denken, eingesetzt werden, die bewusste Entscheidung getroffen werden, sich nicht durch das Verhalten anderer im Straßenverkehr, die Laune verderben zu lassen.

Auch ein positives Priming, eine Voreinstellung, z. B. durch einen Zettel auf dem Armaturenbrett mit dem Satz „Ich freue mich über einen neuen Tag und lasse mir diese Freude nicht durch andere nehmen“ (oder Ähnliches) kann die gewünschte Änderung des S1 unterstützen.

Wenn sich auf dem Schreibtisch Unerledigtes stapelt, das den Stress-Pegel steigen lässt, dann gilt es, die eigene Arbeitsorganisation unter die Lupe zu nehmen, Ratgeber für Zeitmanagement zu konsultieren und die notwendigen Änderungen Schritt für Schritt vorzunehmen. Sehr viele Ärgernisse lassen sich durch offene Kommunikation aus der Welt schaffen. In den Seminaren mit Mitarbeitern schleswig-holsteinischer Kfz-Betriebe wurde z. B. das Verhalten von Kollegen genannt, die bei Telefonaten dazwischenreden, sich laut mit anderen unterhalten oder während des Gesprächs am Schreibtisch stehen bleiben. Das empfanden die Telefonierenden als extrem störend und ärgerlich. In dieser Situation gilt es, offen zu kommunizieren. Die Kollegen ahnen vielleicht nicht, dass das stört, da es sie persönlich nicht nervt. Die klare Bitte, grundsätzlich bei Telefonaten außerhalb des Büros zu warten (oder in einem angemessenem Abstand) muss möglicherweise häufiger wiederholt werden, denn Gewohnheiten lassen sich nur schwer ändern.

Großer Stress wird auch in vielen Fällen durch eine unpräzise Bearbeitung oder Weiterleitung von Anrufen verursacht. Mitarbeiter wissen nicht, dass sie zurückrufen sollen, weil die Rückrufbitte nicht dokumentiert ist oder so, dass sie nicht rechtzeitig gefunden wird (der Klassiker: auf einem kleinen Zettel, der auf dem Schreibtisch untergeht oder der beim leisesten Luftzug von der Tischplatte geweht wird und im „Nirwana“ verschwindet). Häufig wird auch nicht der Grund des Anrufs genannt und bis wann zurückgerufen werden soll. So werden Kunden verärgert, was wiederum den Stress wachsen lässt. Wütende Kunden verursachen natürlich Stress. In dem Moment ist das erst einmal so hinzunehmen, da es nicht sofort zu ändern ist. Wieder ist also eine Überprüfung der eigenen Einstellung zu solchen Ereignissen gefragt. Soll jeder aufgebrachte, gar aggressive Kunde Stress verursachen, den Tag „versauen“? Wer das nicht möchte, der hat die Möglichkeit, sich auf solche Situationen bewusst vorzubereiten. Dazu gehört bspw. das Verinnerlichen der Notwendigkeit, in Momenten, in denen das Gegenüber aufgebracht ist, nicht zu urteilen. Der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti (1895-1986) drückte das so aus: „Die höchste Form menschlicher Intelligenz ist zu beobachten, nicht zu bewerten.“ Das Beobachten umfasst auch, dem aufgebrachten Kunden die Möglichkeit einzuräumen, sich den Ärger von der Seele zu reden. Dies ist der erste Schritt einer 3-Schritt-Strategie, die der amerikanische Mediator Marshall Rosenberg (geb. 1934) für seine „Gewaltfreie Kommunikation“ entwickelte. Die nächsten beiden lauten: Mitgefühl (Empathie) zeigen und schließlich gemeinsam eine Lösung suchen. Wer diese Technik verinnerlicht, also nicht sofort in eine Abwehrhaltung geht und verdeutlicht, wie leid es einem tut, wenn der andere sich ärgert, der wird den Umgang mit aggressiven Kunden sehr viel stressfreier erleben. Nicht zu vernachlässigen ist natürlich auch, dass Kunden es sehr schätzen, wenn sie in einem Zustand hoher negativer Emotionalität freundlich behandelt werden.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig es ist, sich beim Thema Stress am Arbeitsplatz nicht einfach in sein Schicksal zu ergeben. Der Weg hin zu einer grundlegenden Änderung beginnt mit einer Selbstanalyse. Die auf den Seiten 139 bis 143 abgedruckten Dokumente können dazu dienen, den eigenen Stress-Level festzustellen. Die Liste der täglichen Ärgernisse ist als Hilfe gedacht, Situationen zu identifizieren, die einem das Arbeitsleben „sauer“ machen. Natürlich ist sie nicht vollständig, aber sie kann Anregungen geben darauf zu achten, was genau einen in Stress versetzt. Da Stress das Resultat einer Bewertung ist, die blitzschnell und unbewusst erfolgt, muss das System 1 neu programmiert werden. Wo jemand sich früher reflexhaft aufgeregt hat, kann durch bewusstes Gegensteuern, das von System 2, dem langsamen Denken ausgeht, ein neues Reaktionsmuster eingeführt werden. Die 3-Schritt-Strategie Rosenbergs sollte durch Coachings intensiv geschult werden, sodass dieses Verhalten ohne große gedankliche Anstrengung gezeigt werden kann – also im S 1 verankert ist.

Im S 1 befinden sich eine Reihe von Denkweisen, die Stress verstärken, wenn sie ihn nicht sogar auslösen. Sie werden von Psychologen auch als „Heilige Kühe“ bezeichnet. Das sind Anforderungen, die jemand an sich stellt, ohne sich zu fragen, ob diese überhaupt sinnvoll sind. Dazu gehören der Wunsch, es allen Recht zu machen, bei allen beliebt zu sein, immer alles zu geben (Vollgas), stark zu sein, egal wie man sich fühlt, das Streben nach Perfektion oder die ängstliche Vermeidung jeglichen Risikos. Dass daraus überzogene Forderungen an sich selbst resultieren, die gravierende gesundheitliche Folgen haben können, wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts vom Max-und-Moritz-Autor Wilhelm Busch (1832-1908) in folgendem Gedicht sehr treffend beschrieben.

Wirklich, er war unentbehrlich.
Überall, wo was geschah,
zu dem Wohle der Gemeinde,
er war tätig, er war da.

Schützenfest, Kasinobälle,
Pferderennen, Preisgericht,
Liedertafel, Spritzenprobe,
ohne ihn da ging es nicht.

Ohne ihn war nichts zu machen,
keine Stunde hatt‘ er frei.
Gestern, als sie ihn begruben,
war er – richtig – auch dabei!

Wilhelm Busch (Aus: Kritik des Herzens, 1874 hrsg.)

Diesem extremen Stressverstärker, dem Empfinden der eigenen „Unentbehrlichkeit“, unterliegen sehr häufig Führungskräfte, die z. B. eine Firma aus einer ökonomischen Krisensituation erfolgreich herausgeführt haben, oder Unternehmer, die „mit eigenen Händen, aus dem Nichts“, einen gut laufenden Betrieb aufgebaut haben. Ihr hundertprozentiger Einsatz war sicher ein Grund für das Gelingen, aber das darf nicht dazu führen, dass der Realitätsverlust einsetzt. Im übertragenen Sinn gebärden sich Menschen dann so, wie die Person am Straßenrand, die ein Taxi heranwinkt und auf die Frage „Wo wollen Sie hin“ antwortet: „Egal. Irgendwohin. Ich werde überall gebraucht!“

Während es auf der einen Seite also Menschen mit einem übersteigerten Gefühl für die eigene Bedeutung gibt, die sich dadurch unter einen gewaltigen Druck begeben, sind andere überhaupt nicht von ihrem eigenen Wert überzeugt. Wenn diese Menschen dann in eine anspruchsvolle, stressende Situation geraten, stehen sie in der Gefahr, sich durch negative Selbstgespräche die notwendige Kraft zu rauben. Wer ständig Sätze sagt, wie „Ich bin zu nichts zu gebrauchen“, „Mit mir kann man es ja machen“, „Das klappt niemals“, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die ihm mögliche Leistung bringen. In dieser kräftezehrenden Spirale negativen Denkens, muss ganz bewusst „Stopp“ gesagt werden. Besser ist es, sich zu beruhigen mit Aussagen wie „Ich gebe mein Bestes. Der Rest wird sich finden.“ oder „Ich habe mich gut vorbereitet. Es wird schon klappen.“ Damit nimmt sich die betreffende Person den Druck, reduziert merklich den Stress-Level.

Notbremsen bei akutem Stress
Daneben gibt es eine Reihe von Maßnahmen für den Stress-Notfall – eine Situation also, in der der Stress bereits seine physiologische Wirkung entfaltet (feuchte Hände, Kopfdruck, beschleunigter Herzschlag, etc.). Im Anhang findet sich dazu eine Liste mit Sofortmaßnahmen. Sie sind darauf ausgerichtet eine Person vom Gedankenkarussell, das sich immer schneller dreht, herunterzuholen. Das kann das schnelle Hinauflaufen einer Treppe sein, das Trinken eines großen Glases Wasser auf ex, tiefes Ein- und Ausatmen oder das bewusst langsame Essen eines Apfels.

Diese Techniken helfen im akuten Fall. Sie sind die Notbremsen. Wenn jemand feststellt, dass er häufiger den Notstopp benötigt, um nicht aus der Bahn geworfen zu werden, so ist das ein klares Zeichen für die Notwendigkeit, sein Berufs-(Leben) zu ändern (praktische Anregungen zu einer Veränderung im beruflichen Leben bietet das Kapitel „Zeitmanagement auf Seite 147). Langfristig wirksame Maßnahmen betreffen die Lebensgewohnheiten. Dazu gehört, achtsam zu sein, dass der Schlaf ausreichend, die Ernährung ausgewogen ist, Sport/Bewegung einen festen Platz hat oder Entspannungstechniken erlernt werden. Auch diese Änderungen gehen nicht von jetzt auf gleich. Sie müssen durch beständiges An-der-Sache-Bleiben zu einem Handlungsmuster werden. Rückschläge sind programmiert und sollten im Voraus einkalkuliert werden.

Menschen, die anfänglich vor Nervosität kaum ein Wort herausbrachten, wenn sie vor anderen sprechen sollten, haben es zu exzellenten Rednern gebracht. Dieses Beispiel zeigt, dass der bessere Umgang mit Stress-Situationen gelernt werden kann. Wo Änderungen möglich sind, die Stress-Faktoren zu reduzieren, sollten sie kontinuierlich vorangetrieben werden. In Fällen, in denen der Einzelne keinen Einfluss auf den Stressor hat (aggressive Kunden z. B.), gibt es, wie oben gezeigt, dennoch Möglichkeiten der Verbesserung (z. B. die Drei-Schritt-Strategie Marshall Rosenbergs).

Stress mag die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts sein, wie die WHO prognostiziert. Wer die beschriebenen Abwehrmaßnahmen entwickelt, der hat gute Chancen, ihm nicht zum Opfer zu fallen. Stress-Situationen gut zu meistern wird vielleicht sogar dazu führen, dass man dem Satz des „Stress-Erfinders“ Hans Selye zustimmen mag: „Stress ist die Würze des Lebens.“

Kapitel 17 weiterlesen