Bedarfsanalyse – Die Wunschliste

Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge. Wilhelm Busch (1832-1908)

Die Bedürfnisse des Kunden erfahren MitarbeiterInnen, wenn sie aufmerksam zuhören. Dabei sollten sie so viele Fragen wie möglich stellen, denn es gilt der Leitsatz „Wer fragt, der führt.“ Nur durch eine Bedarfsanalyse ist herauszufinden, was der Kundin/dem Kunden wichtig ist, und wie sie/er zufrieden gestellt werden kann.

 

Die Bedarfsanalyse ist nichts anderes, als die Feststellung der Bedürfnisse des Kunden. Seine innere Wunschliste also. Dabei geht es um Produktwünsche, aber auch um Bedürfnisse, die er in der Kundenbeziehung hat. Dieses Wissen ist unerlässlich, um den Kunden „ganzheitlich“, also kundenorientiert zu behandeln. Ohne eine gute Bedarfsanalyse wird nahezu jedes Verkaufsgespräch sehr schwer. Kaufreue und Reklamationen sind eine typische Folge fehlender Bedarfsanalyse. Und eine fehlende Bedarfsanalyse, das ist das, was sich während des PiK-Projekts bei Beobachtungen in verschiedenen schleswig-holsteinischen Betrieben immer wieder als Standard zeigte. Stattdessen machten – sofern sie überhaupt den Verkauf eines Zusatzprodukts anstrebten – viele MitarbeiterInnen den „Bauchladen“ auf. Alles, was überhaupt in Frage kommen konnte (natürlich auch so mancher Ladenhüter), wurde den Kundinnen/Kunden angeboten.
In den Schulungen zum Thema „Kundenorientierung“ gab es von den TeilnehmerInnen häufiger den Einwand, für eine richtige Bedarfsanalyse fehle einfach die Zeit. Doch ist das wirklich so? Wie lange dauert es, seine Produktpalette abzuarbeiten und nach jedem „Nein“ eine andere „tolle Sache“ hervorzuholen? Wie viel Zeit kostet es, jemanden von etwas zu überzeugen, das einen selbst vielleicht begeistert, den anderen aber nicht?
Die meisten Kunden empfinden das Öffnen des Bauchladens als unangenehm, weil sich der Eindruck aufdrängt „Da will jemand auf Teufel komm raus“ verkaufen (und da ist ja durchaus auch was dran). Wer sich so einem wild entschlossenen Verkäufer gegenüber sieht, der kann kaum auf den Gedanken kommen: „Hey, toll. Der interessiert sich wirklich für meine Wünsche.“ Diese Verkäufer riskieren eine schroffe Abfuhr; der höflichere Teil der Kundschaft wird sich mit einem „Super, danke – das muss ich mir nochmal überlegen“ verabschieden und nie wieder kommen. Solche Situationen lassen sich durch eine durchdachte Bedarfsanalyse auf ein Minimum reduzieren. Danach weiß der Verkaufende nämlich genau, was für Vorstellungen der Kunde hat, wo seine preisliche Grenze liegt und ob es z. B. Wünsche anderer Familienmitglieder zu berücksichtigen gilt. Wie sind diese Informationen zu bekommen? Durch offene Fragen! Sie sind der Schlüssel für eine professionelle Abwicklung dieses 2. Schrittes im Verlauf des Kundengespräches. Offene Fragen geben den Kunden ein gutes Gefühl (die Kundin/der Kunde darf sagen, was sie/er will). Außerdem sind sie für die Beteiligten weit weniger anstrengend als das nervige „Zu-Gequatscht-Werden“, bzw. „Zu-Quatschen“.
Dass das immer wieder passiert, weiß jeder. Folgende Situation soll verdeutlichen, wie leicht der Verzicht auf eine konsequente Bedarfsanalyse den Kunden vergrault. Obendrein ist die Energie (auch wenn es nicht sehr viel war), die der Verkäufer in das Gespräch investierte, völlig verpufft. Die Szene spielte sich in einem schleswig-holsteinischen Autohaus ab. Ein Kunde suchte ein neues Radio. Wie leider sehr häufig kostete es ihn einige Mühe, einen Verkäufer auf sich aufmerksam zu machen. Als das schließlich gelang, führte der junge Mann den Kunden in eine Ecke des Verkaufsraumes, in der beeindruckend viele Geräte der verschiedensten Hersteller ausgestellt waren. Weniger beeindruckend der erste, die vielen Radios betreffende Satz des Verkäufers: „Da haben wir unser preiswertestes Modell, rechts daneben ein etwas besseres Modell und hier auf der anderen Seite unser absolutes Topmodell.“ Dieser Satz blieb der letzte ernsthafte zu diesem Thema. Nach der Pause, in der der Kunde im Gesicht des Verkäufers die Botschaft lesen konnte „Entscheiden sie sich sofort, denn ich habe noch andere Kunden, die von meiner Kompetenz profitieren wollen“ gelang es dem nun alles andere als „aufgeklärten“ Kunden immerhin noch die Frage zu stellen, ob denn das Topmodell wirklich ein Alleskönner sei. Jetzt folgte ein Scherz vom Verkäufer: „Das Modell kann im Winter sogar die Schreiben freikratzen!“
Das „überzeugte“ und damit war das Topmodell gekauft – mit dem mulmigen Gefühl, dass für diese Entscheidung doch ein paar weitere Informationen hilfreich gewesen wären, „aber es ist schließlich das Topmodell“. Zuhause angekommen, durfte sehr schnell wieder der Rückweg zum Autohaus angetreten werden. Leider verfügt dieser „Alleskönner“ nicht über einen USB-Anschluss, der für den zuhause gebliebenen jüngeren Teil der Familie des Kunden das absolute KO-Kriterium ist. Dieses Modell wird also keine Melodie im Wagen des Kunden spielen. Letzterer kochte innerlich, denn wie schon geahnt, hatte der Verkäufer längst Feierabend, und da keine Nerven mehr übrig waren, sich um ein passendes Modell zu kümmern, wurde das Gerät nur zurück gegeben. Nach Verlassen des Geschäfts erfolgte der feierliche Schwur, ab sofort nichts mehr in diesem „Laden“ zu kaufen.
Was fehlte? Zwei Minuten Aufmerksamkeit und Fragen wie: „Welches Gerät hatten sie bisher?“ und „Was soll das Gerät alles können?“ Damit hätte der Verkäufer den Kunden zum Reden gebracht, seine Bedürfnisse erkannt, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre auch der anstehende Winterreifen-Kauf in dem Geschäft mit dem kompetenten Verkäufer erfolgt.
Leider ist bei den Beobachtungen, die im Rahmen des PiK-Projekts in verschiedenen Autohäusern gemacht wurden, ein sehr ähnliches Verhalten wie das oben geschilderte häufig zu beobachten gewesen. Es wurden einige Produkte gezeigt und dann blieb der Kunde auf sich allein gestellt. Wenn in den Seminaren dieses ungenügende Verhalten angesprochen wurde, dann hieß es häufiger: „Die Kunden wollen gar nicht mehr Informationen!“ Sicher gibt es solche Kunden. Vielleicht haben sie sich schon intensiv mit den verschiedenen Modellen eines Produkts befasst und brauchen vom Verkäufer nur noch den Hinweis, wo sie/er die Ware bezahlen kann. Doch sollte nicht am Anfang einer Kundenbeziehung stehen, dass die Verkäuferin/der Verkäufer herausfindet, welche Bedürfnisse der Kunde hat und nicht einfach davon ausgehen, dass der schon Bescheid weiß? Kunden haben ein Anrecht auf gute Beratung.
Gerade in diesen Zeiten harten Wettbewerbs ist der einzelne Kunde für die Betriebe in der Kfz-Branche unglaublich wichtig. Jeder Umsatz zählt und jede Negativwerbung sollte unbedingt vermieden werden. Immer wieder muss gesagt werden: Eine fehlende Bedarfsanalyse macht den Betrieben und ihrem Personal das Leben unnötig schwer. Die bloße Annahme „Das wird für den Kunden schon das Richtige sein“ ist, ohne die zuvor gestellte Frage, was sie/er eigentlich möchte, Hellseherei. Viel einfacher ist es, das zu verkaufen, was der Kunde wirklich haben will.
Wer fragt, der führt. Das ist ein wichtiger Leitsatz der Bedarfsanalyse. Nur VerkäuferInnen, die offene Fragen stellen, haben ihren Job wirklich verstanden. In den PiK-Seminaren und Schulungen fiel es während des Trainings der Verkaufsgespräche allen TeilnehmerInnen äußerst schwer, offene Fragen zu formulieren. Viele waren noch in der Lage eine oder zwei offene Fragen zu stellen, um dann zu geschlossenen Fragen überzugehen. Geschlossene Fragen helfen aber nicht dabei, die wirklichen Bedürfnisse des Kunden herauszufinden.
Warum fällt es Menschen so schwer, ein Gespräch mit offenen Fragen am Laufen zu halten? Die Hirnforschung liefert darauf eine Antwort. Demnach ist das Gehirn immer bestrebt, Energie zu sparen. Gleichzeitig trachtet es danach, Ereignisse im Voraus zu erkennen. Das ist möglich bei geschlossenen Fragen, denn da ist der Antwortspielraum stark begrenzt („Ja“ oder „Nein“, vielleicht noch „Weiß nicht“). Das Gehirn muss also nicht viel Energie aufwenden, um mögliche Antwortszenarien durchzuspielen. Bei offenen Fragen dagegen ist der Energieaufwand ungleich höher, denn die mögliche Antwortmenge ist nahezu unbegrenzt. Vorausberechnungen sind nur schwer möglich und auf die unberechenbaren Antworten soll wieder blitzschnell reagiert werden. Deshalb nutzt das Hirn lieber geschlossene Fragen, bei denen es sich entspannt zurücklehnen und wie ein Schachmeister alle Züge im Voraus berechnen kann. Aus diesem Grund gelingt es den TeilnehmerInnen in den Seminaren während der Gesprächs-Trainings meist am Anfang noch eine offene Frage zu stellen. Nach der gegebenen, unvorhersehbaren Antwort wurde es der/dem Fragenden zu unübersichtlich und so folgten anschließend nur noch geschlossene Fragen. Damit dieser natürliche Reflex ausgeschaltet wird, muss die Technik offener Fragen geübt werden. Wie ist das am besten umsetzbar? Am Einfachsten ist es, sich einen kleinen Katalog mit offenen Fragen zusammen zu stellen. Wenn diese Liste so am Platz liegt, dass sie gut sichtbar ist, dann reicht vor oder während des Kundengesprächs ein kleiner Blick und die Frage ist präsent. Durch kontinuierliches Üben werden offene Fragen nach und nach Teil des S1, des schnellen Denkens, und dann sind sie auch unter großem Stress abrufbar.
Hier eine Auswahl bewährter offener Fragen für den Kundenkontakt:

  • Welche Informationen haben Sie schon zu diesem Thema gesammelt?
  • Welche Anforderungen muss das Produkt erfüllen?
  • Was ist Ihnen besonders wichtig?
  • Welche Marke haben Sie bisher benutzt?
  • Wie zufrieden waren Sie damit?
  • Wie viel wollen Sie ausgeben?

Es gibt noch viele weitere offene Fragen, die je nach Situation, Produkt und Kunde variieren. Für eine Kundenbetreuung, die eine professionelle Bedarfsanalyse einschließt, gilt das Motto der bekannten TV-Serie „Sesamstraße“: „Wer, Wie, Was, Wieso, Weshalb, Warum – wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Offene Fragen führen auf direktestem und damit auch schnellstem Weg zu den Wünschen des Kunden. Wer offene Fragen beherrscht, quatscht keinen Kunden mehr zu und hat es auch nicht nötig, jemandem etwas aufzuschwatzen. Der Kunde bekommt genau das, was er haben will.
In ihrem Buch „Wahnsinnskarriere“ unterstreichen Wolfgang Schur und Günter Weick die Bedeutung dieses Kommunikationsinstruments wie folgt: „Die Fragetechnik nimmt eine besondere Stellung ein. Sie ist in gewissem Maße die Krönung aller Werkzeuge und zieht sich als ,Grundlagentechnik` durch alle andere Methoden hindurch. Richtig angewendet bringt die Fragetechnik schnellere und bessere Ergebnisse als alle anderen Techniken zusammen. Und trotzdem wird die Fragetechnik kaum in Seminaren ausführlich gelehrt – vielleicht deshalb, weil mit einem ausführlichen Rhetorik-Seminar mehr Geld zu verdienen ist als mit einem kurzen Frageseminar. Richtig fragen bedeutet, Leute dorthin zu führen, wohin man sie haben möchte.“
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Offene Fragen und das aufmerksame Zuhören geben Kunden das Gefühl, willkommen zu sein. Dadurch steigt deren Zufriedenheit. Für die Kundin/den Kunden ist es so, als hätte sie/er sich das Produkt selbst verkauft, da sie/er ihre/seine Vorstellungen und Wünsche äußern konnte. Das ist der psychologische Schlüssel zu optimaler Kundenorientierung. Der Kunde sollte ruhig den größeren Gesprächsanteil haben. Dirigiert wird er durch die offenen Fragen der Verkäuferin/des Verkäufers. Obendrein steigern offene Fragen Umsatz und Gewinn, denn – wie Untersuchungen ergeben haben – kauft ein zufriedener Kunde im Schnitt bei jedem Autohausbesuch zusätzliche Produkte im Wert von 50 Euro.

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